06.09.2010

Fremde Freunde

Kennt ihr die Morgenfrühstarrer? Das sind die Mitreisenden in Zug, die mir am allermeisten auf den Sack gehen. Früh morgens zumindest.

Zwischen Aufstehen und bei der Arbeit ankommen verfüg ich einfach weder über genug Schneid noch Geduld um dem Starrer zu erklären, dass es in der Schweiz nicht als höflich gilt, jemanden anzustarren. Vor allem nicht, wenn ich mich noch im Halbschlaf befinde und eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will.


Beinahe noch mühsamer sind die folgenden Starrer. Die, die einem nicht nur unablässig angucken müssen, sondern einem auch noch hinterherdackeln, wenn umsteigt und sich dann –oh Zufall- wieder ins gleiche Abteil zu setzen, obwohl nebenan eines komplett frei ist.
Kein Mensch empfindet dass vor 12.00 als Kompliment, keiner! Höchstwahrscheinlich würd ich das auch nach Mittag noch als Hang zum Stalking deuten, aber dann hätt ich wenigstens genug Energie um wegzulaufen.


Das Allerschlimmste ist ja die Tatsache, dass es viele nicht beim einmaligen Starren belassen, sondern einen jeden Tag aufs Neue mit ihren penetranten Blicken belästigen. Man kann ihnen nicht mal wirklich ausweichen, weil sie jeden Tag zur gleichen Zeit dieselbe Strecke wie man selber pendeln und dann auch noch am gleichen Ort am Bahnsteig stehen.
Ausser dem Umstieg aufs Auto oder dem Wählen einer anderen Verbindung bleibt einem keine Möglichkeit sich vor ihnen zu verstecken.


Wenn sies dann ganz auf die Spitze treiben wollen, dann fangen sie sogar an, mit ihren Mündern zu kommunizieren.
Ich werde mich höchstwahrscheinlich nicht mit dem Mann mit den vergilbten Rapistglasses unterhalten, dem ich anscheinend sehr sympathisch bin und der gerne mal mit mir Frühstücken möchte. Aber manchmal, wenns wirklich nicht anders geht und die einzige Unterbruchsmöglichkeit seines Redeflusses (der laut genug ist die Musik in meinen Headphones zu übertönen) darin besteht selber was zu sagen, dann und nur dann werde ich mich am Morgen mit einem anderen Pendler unterhalten.


Ziemlich wahrscheinlich wird ein Satz mit mehr wie 6 Wörtern nicht drin liegen und das gestellte Lachen, dass man sonst seinem verhassten Nachbarn schenkt das höchste der Gefühle sein, aber dennoch scheinen die Starrer voll darauf abzufahren.
Diejenigen mit gebrochenem Deutsch sind wahrscheinlich sogar ganz froh über meine Wortkargheit und hin und wieder erlaubt sich ein Starrer doch tatsächlich mich zu fragen, ob er mich mal ausserhalb vom Zug wiedersehen dürfte oder sogar meine Handynummer aufschreiben könne.



Bisher hat noch keiner von Ihnen die Erlaubnis dazu gekriegt und zwar aus einem ganz einfachen Grund.
Das Pensum an Bekanntschaften, die das Potential haben Freunde zu werden ist begrenzt und solche, die mir in irgendeiner Hinsicht negativ auffallen haben garantiert keine Chance da rein zu kommen.


Starren mag in Indien zwar eine Geste der Anerkennung sein, aber hier ist es eher ein Indiz für eine eventuelle Geisteskrankheit oder das nicht vorhanden sein von Manieren. Wenn du unbedingt mein Freund sein willst, dann besuch mich im Merkker, komm zum Southside, triff mich an einem Konzert, in versifften Bandräumen oder auf dem Triebguet. Bemerke in der Migros an der Kasse, dass wir fast den identischen Einkaufszettel gehabt haben müssen oder schenk mir ein Lachen, wenn ich dir an der Garderobe das Zettelchen für meine Jacke zurück gebe.
Unter all diesen und noch vielen anderen Umständen werde ich mich gerne mit dir unterhalten und dir die Chance geben, in den Kreis der Bekanntschaften aufgenommen zu werden.


Leute jedoch, die mich zuerst anstarren um mir dann zu sagen, dass ich anscheinend jeden Tag diese Strecke fahre und darauf auch noch eine gesprächsanregende Antwort erwarten sind mir meine Zeit nicht wert.


Ich kriegs schon so kaum hin, all die Leute regelmässig zu sehen, die ich mag.


Machts doch wie Bernd und legt euch ein Hobby zu, was ich mit euch gemeinsam haben könnte. Raufasertapete anstarren oder so.

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